Weltweit entstehen gerade Firmen, die sich auf die Fahnen schreiben, Prozesse in der Immobilienwirtschaft mit Hilfe der Blockchain-Technologie effizienter abzubilden und für die Umsetzung Kapital einsammeln. Wir haben mit Michael Stephan, dem Gründer und Geschäftsführer der digitalen Immobilien-Investment-Plattform iFunded über die Blockchain-Technologie gesprochen und welche Auswirkungen sie auf die Immobilienwelt haben wird.
Redaktion: Zuletzt war von dem Schweizer Immobilienunternehmen Swiss Real Coin (SRC) zu lesen, das sich über einen ICO finanzieren wollte, der jetzt allerdings um zwei bis drei Monate verschoben wurde. Was ist eigentlich ein ICO?
Stephan: ICO steht für Initial Coin Offering und ist ein Finanzierungsmodell, das sich in der Blockchain-Szene etabliert hat. Der Begriff orientiert sich am IPO, also einem klassischen Börsengang, bei dem Aktien von Altaktionären oder aus einer Kapitalerhöhung am Kapitalmarkt angeboten werden. Statt Aktien werden beim ICO sogenannte Token an die Allgemeinheit ausgegeben.
Redaktion: Und was sind Token?
Stephan: Ein Token ist eine Art digitaler Coupon, mit dem der Besitzer gewisse Rechte ausüben kann. Dabei wird zwischen Utility Tokens und Security bzw. Equity Tokens unterschieden.
Redaktion: Also möchte die Swiss Real Coin bei dem jetzt verschobenen ICO Tokens verkaufen…
Stephan: Richtig. Dem Whitepaper von SRC zufolge sollen 92% der im Rahmen des Initial Coin Offerings (ICO) eingeworbenen Geldes indirekt über eine Anleihenstruktur in Schweizer Gewerbeimmobilien investiert werden. Somit wären die Tokens indirekt mit echten Werten unterlegt. Das ist bei ICOs aktuell noch eher selten.
Redaktion: Welche Bereiche in der Immobilienwirtschaft würden sich denn unter Anwendung der Blockchain-Technologie am meisten ändern?
Stephan: Eigentlich sind alle Bereiche gleichermaßen betroffen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Nicht nur Transaktionen, also der Erwerb bzw. die Veräußerung, sondern auch das Management von Immobilien werden dadurch einfacher und effizienter. Mit Hilfe der Blockchain kann der gesamte Lebenszyklus einer Immobilie abgebildet werden. Zum Beispiel können Mietverträge automatisch geschlossen und überprüft werden. Auch Betriebskostenabrechnungen lassen sich so automatisieren.
Redaktion: Zahlen wir irgendwann alle unsere Miete mit Bitcoins?
Stephan: Dies ist durchaus denkbar, wobei es nicht zwingend Bitcoins sein müssen. Es gibt ja noch viele andere Kryptowährungen. Aber es ist naheliegend, auch Mietzahlungen und Abrechnungen über die Blockchain laufen zu lassen. In Zukunft könnten Eigentümer eines Mehrfamilienhauses die Miete zum Beispiel als Token bzw. Kryptowährung von Ihren Mietern erhalten.
Redaktion: Und der Verkauf einer Immobilie geschieht ebenfalls per Blockchain…
Stephan: In Zukunft ja. Das hat nämlich viele Vorteile. Denn so ist es möglich, dass sämtliche Eigentumsrechte über die Blockchain fälschungssicher abgebildet werden. So wird ein Grundbuch in der jetzigen Form sowie der kostspielige Gang zum Notar künftig überflüssig. Die Blockchain wird die Immobilienwelt auf den Kopf stellen. Es ist vergleichbar mit der Musikindustrie, die durch die Erfindung des Dateiformats MP3 komplett umgekrempelt wurde. Die Technologie ist nicht mehr aufzuhalten. Es ist nur eine Frage der Zeit. Aktuell haben wir in Deutschland allerdings noch ein altertümliches Rechtssystem, deren Umstellung sicher noch etwas Zeit in Anspruch nehmen wird. Dubai ist da schon weiter und hat sich im Rahmen einer Immobilien-Blockchain-Initiative vorgenommen, das Grundbuch bis 2020 vollständig auf die Blockchain zu legen. Investoren haben somit jederzeit Zugriff auf einen transparenten Nachweis der Informationen zu der jeweiligen Immobilie.
Redaktion: Gibt es denn traditionelle Player aus der Finanzbranche, die sich mit Blockchain-Themen beschäftigen?
Stephan: Daimler und die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) haben vor einem Jahr Schlagzeilen gemacht, als sie ein Schuldscheindarlehen über Blockchain-Technologie in Höhe von 100 Millionen Euro mit Laufzeit von einem Jahr als Pilotprojekt für Kapitalmarkt-Transaktionen und Finanzprozesse abgewickelt haben. Die HSBC testet neben der Bank of China in Hong Kong die Implementierung der Blockchain, um die Bewertungen bei Beleihungen effektiver und transparenter durchführen zu können.
Redaktion: Wie wird das Thema Blockchain aktuell aus Ihrer Sicht wahrgenommen?
Stephan: Es wird leider undifferenziert mit hoch spekulativen Währungen wie Bitcoin gleichgesetzt. Oft wird nicht verstanden, dass Blockchain lediglich die Technologie darstellt, auf der Kryptowährungen wie Bitcoin basieren. Fakt ist: Wer jetzt nicht beginnt, sich intensiv mit der Technologie auseinander zu setzen, muss damit rechnen, künftig Marktanteile zu verlieren.
Reaktion: Vielen Dank für das Interview.